- serbische Literatur.
- sẹrbische Literatur.Die Anfänge der serbischen Literatur stehen in enger Verbindung mit der Herausbildung des altserbischen Reiches der Nemanjiden: Im Bereich der serbisch-orthodoxen Kirche entfaltete sich ein umfangreiches Schrifttum in kirchenslawischer Sprache serbischer Redaktion. Es stand unter dem Einfluss der byzantinischen Literatur, aus der religiöse und theologische Werke übersetzt wurden. Auch weltliche erzählende Gattungen (Alexander-, Trojaroman) orientalischen und westlichen Ursprungs wurden adaptiert. Als eigenständige Werke ragen die altserbischen Herrscherbiographien des 13. und 14. Jahrhunderts hervor, die hagiographische und historiographische Elemente vereinigen: die Vita Stephan Nemanjas von Sava, die Sava-Viten von Domentijan (* um 1210, ✝ nach 1264) und Teodosije (* um 1246, ✝ um 1328) sowie die »Viten der Könige und Erzbischöfe Serbiens« des Erzbischofs Danilo. Fortgesetzt wurde diese Tradition im 15. Jahrhundert durch die bulgarischen Emigranten Grigorije Camblak (* um 1365, ✝ 1419) und Konstantin von Kostenec (* um 1380, ✝ 1431). Als bedeutender Rechtskodex ist das Gesetzbuch (Zakonik, 1349/54) des Zaren Stephan IV. Dušan zu erwähnen. Die osmanische Eroberung Serbiens (von der Schlacht auf dem Amselfeld, 1389, bis zum Fall Belgrads, 1521) führte zu einem Niedergang der serbischen Literatur und isolierte sie - im Gegensatz zur kroatischen Literatur - von den europäischen Entwicklungen. Die schriftliche Tradition, v. a. liturgische Gebrauchsliteratur, konnte nur in den Klöstern, so u. a. im Athoskloster Chiliandariu (Hilandar), fortgesetzt werden. Parallel dazu schuf die im Volk tradierte Heldenepik (v. a. der Kosovo-Zyklus um die Schlacht auf dem Amselfeld und die Lieder um den beliebtesten serbischen Helden, Kraljević Marko) eine reiche, mündlich überlieferte Liedtradition. J. G. Herder, Goethe und die Brüder Grimm entdeckten diese originelle und lebendig gebliebene serbische Volksdichtung für die westeuropäische Kultur und machten sie durch Übersetzungen bekannt.Im 18. Jahrhundert entstand im Zuge des orthodoxen Bildungseinflusses aus Russland und der Ukraine eine künstliche Mischsprache aus russisch-kirchenslawischen und serbischen Elementen (Slawenoserbisch), die sich jedoch als Grundlage für die serbische Literatursprache nicht durchsetzen konnte. Die weltliche Literatur ist geprägt vom Geist der Barockpoetiken, v. a. des Predigers Gavril S. Venclović (* um 1680, ✝ 1749?) und des Historiographen Zaharija Orfelin (* 1726, ✝ 1785).Der bedeutendste Vertreter der Aufklärung in Serbien, D. Obradović, weist in seinem Kampf für die Volksbildung und in seinem literarischen Werk bereits ins 19. Jahrhundert, in dem das eigentliche literarische Schaffen begann. Voraussetzung war die Schaffung einer auf der Volkssprache basierenden Schriftsprache, die von Serben und Kroaten gleichermaßen akzeptiert wurde. Die Kodifizierung dieser gemeinsamen Schriftsprache mit den Varianten Serbisch und Kroatisch im Wiener Sprachabkommen (1850) durch V. S. Karadžić und die Kroaten L. Gaj und I. Mažuranić steht am Anfang der v. a. national geprägten Romantik, die die Volksdichtung zu einer Quelle literarischer Anregung machte. Bedeutendste Vertreter sind der Lyriker B. Radičević und der montenegrinische Fürstbischof Peter II. Petrović Njegoš mit dem Epos »Gorski vijenac« (1847), denen Đ. Jakšić, J. Jovanović und L. Kostić folgten. Am Anfang der serbischen Komödie steht J. S. Popović, der »serbische Molière«. Von der Romantik zum Realismus verweisen schon die Werke des wojwodinischen Romanciers Jakov Ignjatović (* 1822, ✝ 1889).In den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts wandte sich die serbische Literatur unter dem Einfluss der russischen Realisten und der Führung des Sozialisten S. Marković immer mehr einem kritischen Realismus zu, als dessen bedeutendste Autoren L. Lazarević, Milovan Glišić (* 1847, ✝ 1908), S. Ranković, S. Sremac und Janko Veselinović (* 1862, ✝ 1905), v. a. mit dörflichen Erzählungen aus dem Leben des einfachen Volkes, gelten. Der Dalmatiner S. Matavulj brachte neben Stoffen aus dem heimatlichen Küstenbereich auch montenegrinische und Belgrader Themen ein. Als Meister der für die serbische Literatur typische Gattung der Satire sind Radoje Domanović (* 1873, ✝ 1908) und P. Kočić zu nennen. Bereits an der Schwelle zur Moderne steht die psychologisch vertiefte, subtile Prosa von Borisav Stanković (* 1876, ✝ 1927). Auch in der feinfühligen und formvollendeten Lyrik von V. Ilić bahnte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Übergang zu modernistischen Strömungen an.Unter dem Einfluss der französischen Symbolisten (C. Baudelaire, P. Verlaine) überwand die serbische Lyrik ihre bisher nahezu ausschließlichen Ausrichtung an der Volksdichtung und konnte so inhaltlich und formal neue Wege beschreiten. Die serbische Moderne, die avantgardistischen Impulse (Futurismus, Expressionismus) verarbeitete, setzte sich bis in die Zwischenkriegszeit fort. Zentrale Persönlichkeit der Belgrader Modernisten war M. Crnjanski, daneben sind v. a. J. Dučić, Sima Pandurović (* 1883, ✝ 1960), M. Rakić, Isidora Sekulić, Todor Manojlović (* 1883, ✝ 1968), R. Petrović und S. Vinaver zu nennen. Eine eigenständige Variante des serbischen Surrealismus (»Nadrealizam«) schufen in den 30er-Jahren M. Ristić, O. Davičo und A. Vučo. Daneben konnte sich in vollem Umfang die traditionelle Prosa behaupten, in deren Mittelpunkt nach wie vor die Erzählung aus dem Volksleben stand, wobei aber der Themenbestand durch vertiefte soziale und kulturelle Problemstellung erweitert und die Darstellung formal und psychologisch verfeinert wurde. Zahlreiche Vertreter dieser Richtung (u. a. B. Ćopić, D. Ćosić, Desanka Maksimović, I. Samokovlija) trugen die zwischen den Weltkriegen erarbeitete Tradition in die Nachkriegszeit hinüber, ebenso wie die großen Altmeister Crnjanski und I. Andrić.Die gesellschaftliche Umwandlung nach dem Zweiten Weltkrieg übte starken Einfluss auf die Literatur aus. Neben bereits früher linksorientierten Autoren (Davičo, M. Lalić u. a.) traten auch Vertreter traditioneller Auffassungen (Ćopić, A. Isaković, Desanka Maksimović) für die sozialistische Neugestaltung ein. Dominantes Thema der ersten Nachkriegsjahre war der Krieg, v. a. die Partisanenkämpfe als nationaler Befreiungskampf. Nach dem politischen Bruch mit dem Kominform (1948) fiel die überwiegende Orientierung am sozialistischen Realismus weg, und das literarische Leben wurde progressiv, kritisch und v. a. polemisch gegen jedweden Dogmatismus in Kunst und Ästhetik. Als fruchtbarste Gattung erwies sich der Roman, der bis heute in der serbischen Literatur eine dominierende Rolle spielt. In der Auseinandersetzung mit dem dogmatischen sozialistischen Realismus gaben v. a. die Surrealisten Dušan Matić (* 1898, ✝ 1980) und Davičo sowie die von der englischen und französischen Literatur inspirierten Lyriker V. Popa und M. Pavlović entscheidende Impulse. In der Prosa bildeten sich zwei konträre Richtungen aus, von denen die eine ein traditionelles Literaturmodell vertrat, während die andere eine Erneuerung der Avantgarde der Vorkriegszeit anstrebte. Als Antwort auf den sozialistischen Realismus entstand zwischen 1950 und 1955 der so genannte sozialistische Ästhetizismus, der bis in die Mitte der 60er-Jahre vorherrschte und Anregungen aus dem Expressionismus der Zwischenkriegszeit und dem Surrealismus, aber auch von ausländischen Autoren empfing. So entwickelte sich eine reiche Vielfalt an künstlerischen Verfahren und Themen: eine universell-philosophische und existenzielle Richtung mit zeitkritischen Bezügen (Andrić, Crnjanski, M. Selimović), monumentale Erzähltradition und Identitätssuche (Ćosić, Isaković, Ćopić), experimentelle Verfahren (Radomir Konstantinović, * 1928) sowie fantastisch-groteske Erzählverfahren (M. Bulatović, Frühwerk von M. Djilas) oder naive Darstellung (Bora Ćosić, * 1932). Zunehmend fanden aber auch die Probleme der Gegenwart Eingang in die serbische Literatur: Mit der menschlichen Entfremdung und der Bedrohung durch die Technik setzte sich u. a. Sveta Lukić (* 1931) auseinander, den Alltag schilderte Grozdana Olujić.Mitte der 60er-Jahre setzte eine neue Autorengeneration (D. Kiš, M. Kovač, B. Pekić, R. Smiljanić, Branimir Šćepanović, * 1937; David Filip, * 1949) diese Richtungen fort, wobei sie universelle Themen gestaltete und einen ästhetischen Konstruktivismus pflegte. Ein »erneuerter Realismus« dominiert bei Živojin Pavlović (* 1933), S. Selenić und D. Mihailović. Auch charakteristische Regionalismen und Dialektismen belebten das Erzählen, das sich am dörflichen und kleinstädtischen Leben, aber auch an Randgruppen mit ihrer spezifischen Sprache orientierte.Die sachliche Prosa überwog in den 70er- und 80er-Jahren. Parallel dazu traten auch andere Orientierungen auf wie die beim jungen Lesepublikum beliebte »Jeansprosa« (Momo Kapor, * 1937). Eine Ausweitung erfuhren der historische Roman und die Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen Vergangenheit (D. Ćosić, Pekić, Selenić, Vojislav Lubarda, * 1930). Dazu tritt in jüngster Zeit Prosa vom Typ J. L. Borges' mit Betonung des Tragisch-Grotesken oder Parodistischen und Fantastischen (M. Pavić; Vuk Stevanović, * 1942). Auch Techniken aus anderen Medien ergänzen die vielfältigen Verfahren der serbischen Prosa. - Die Lyrik reicht vom subjektiven Lyrismus, vom Neosymbolismus, vom »Signalismus« mit visuellen und gestischen Elementen und vom »Klokotrismus«, einer antipoetischen Variante des Surrealismus, bis zur »Poesie des Schocks« mit dämonischen und diabolischen Zügen; zu nennen sind v. a. Stevan Raičković (* 1928), Branko Miljković (* 1934, ✝ 1961), Milovan Danojlić (* 1937), Matija Bećković (* 1939), Gojko đogo (* 1940), Milovan Vitezović (* 1944) und Rajko Petrov Nogo (* 1945). - Im Drama, der am schwächsten vertretenen Gattung, wurden erfolgreiche Romane dramatisiert (u. a. von Andrić, Crnjanski, Selimović, Pavić). Đorđe Lebović (* 1928) demonstriert die Idee des Tragisch-Absurden. Eine freie Interpretation antiker Mythen versuchte Jovan Hrstić (* 1933). Velimir Lukić (* 1936) entwickelte die allegorische Farce. Eine radikale Hinwendung zum Alltag mit kritischen und komödienhaften Akzenten gelingt Alexander Popović (* 1929). Erfolgreiche Bühnenwerke schufen auch Kapor, Jovan Cirilov (* 1931) und Dušan Kovačević (* 1940), Prosa von euopäischem Rang D. Velikić.In der jugoslawischen Literaturgeschichtsschreibung wurden montenegrinische Autoren (Njegoš, Djilas, Bulatović u. a.) der serbischen Literatur zugeordnet. Bei Autoren aus dem bosnisch-herzegowinischen Raum erfolgte die Einordnung nach dem Zugehörigkeitsgefühl des jeweiligen Autors. Als »jugoslawische« Schriftsteller fühlten sich v. a. Autoren, die eine nationale Einengung vermeiden wollten.J. Skerlić: Istorija nove srpske književnosti (Belgrad 41967);M. Pavić: Istorija srpske književnosti baroknog doba. XVII i XVIII vek (ebd. 1970);M. Pavić: Istorija srpske književnosti klasicizma i predromanticizma, klasicizam (ebd. 1979);M. Pavić: Rađane nove srpske književnosti (ebd. 1983);P. Palavestra: Posleratna srpska književnost. 1945-1970 (ebd. 1972);P. Palavestra: Istorija moderne srpske književnosti (ebd. 1986);M. Kašanin: Srpska književnost u srednjem veku (ebd. 1975);A. Barac: Gesch. der jugoslav. Literaturen von den Anfängen bis zur Gegenwart (a. d. Serbokroat., Neuausg. 1977);P. u. G. Kersche: Bibliogr. der Literaturen Jugoslaviens in dt. Übers. 1775-1977 (1978);D. Bogdanović: Istorija stare srpske književnosti (Belgrad 1980);J. Deretić: Istorija srpske književnosti (ebd. 1983);R. Konstantinović: Biće i jezik u iskustva pesnika srpske kulture dvadesetog veka, 6 Bde. (ebd. 1983);Jugoslovenski književni leksikon, hg. v. Ž. Milisavac u. a. (Novi Sad 21984);A. Richter: Serb. Prosa nach 1945 (1991);Serbokroat. Autoren in dt. Übers., 2 Tle., hg. v. R. Lauer (1995).
Universal-Lexikon. 2012.